Wandel der Unternehmensbesteuerung

Puzzle mit Wort Steuern

von Astrid Kraus, Steuerberaterin und Vorsitzende des Vereins zur Förderung der politischen Kultur e.V.

Zum Gesamtsteueraufkommen Deutschlands von 673,2 Mrd. Euro trug die Körperschaftsteuer laut Steuerstatistik des Bundesfinanzministeriums fürs Jahr 2015 gerade einmal 19,6 Mrd. Euro bei. Gemessen an ihrem Anteil von 3,1% des Gesamtsteueraufkommens ist die Körperschaftsteuer also nahezu zu vernachlässigen.

Da es sich jedoch um die Steuer der Kapitalgesellschaften handelt und fast alle international tätigen Unternehmen Kapitalgesellschaften sind, wird ihr als Gerechtigkeitssteuer größere Aufmerksamkeit zuteil, und selbst das wirtschaftsfreundliche Lager ist für eine solche Argumentation mittlerweile aufgeschlossener als noch in der Vergangenheit.

Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren ein Wandel in der Unternehmensbesteuerung bereits stattgefunden hat und sich noch stets vollzieht.

 

Ursachen

Hintergrund für den Wandel sind Veränderungen der Produktionsweise und der politischen Rahmenbedingungen. In Reaktion hierauf ist es zu einem Paradigmenwechsel der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) und der EU gekommen, die beide auf den Wandel mit Steuerverschärfungen reagieren.

Im Folgenden werden zuerst die Veränderungen der Produktionsweise und der politischen Rahmenbedingungen skizziert. Anschließend sollen die Reaktionen von OECD und EU dargestellt werden.

 

Produktionsverlagerung

Die Produktion europäischer Unternehmen findet längst nicht mehr allein oder vorwiegend im Heimatland des Unternehmens statt, wo die Verwaltung ansässig ist.

Eine Folge hiervon ist, dass im Heimatland hohe Kosten für die Verwaltung des Gesamtunternehmens anfallen, der Überschuss des Umsatzes über die Herstellungskosten aber zu größeren Teilen im Ausland realisiert wird. Das führt dazu, dass die Steuerbemessungsgrundlage im Heimatland sinkt und im Ausland steigt.

 

Zunehmende Bedeutung elektronischer Dienstleistungen

Bis vor zehn Jahren hat der Kunde – ggf. durch Zwischenhändler – direkt vom produzierenden Unternehmen gekauft, und die Gewinne wurden steuerlich in der Regel entweder am Produktionsstandort oder dort realisiert, wo das Geschäft stattgefunden hat. Das heißt, Gewinne waren lokalisierbar, und der Streit ging um die Aufteilung zwischen eindeutig definierten Ländern.

Bei elektronischen Dienstleistungen lassen sich jedoch weder Produktionsstandort noch Geschäftsabschluss eindeutig verorten. Die „Produktion“ der elektronischen Dienstleister besteht aus einem Programmiercode, der unabhängig vom Rechnerstandort überall produziert werden kann. Der Geschäftsabschluss kommt zustande, wo der Käufer gerade sitzt, und das kann vor seinem heimischen Computer oder irgendwo im Urlaub sein. Auch die Lieferadresse kann irgendwo sein. Das heißt, die Gewinnzuordnung ist schon dem Grunde nach schwierig.

Ein Beispiel: Amazon lässt seine Software von einem freien Programmierer in Indien herstellen und kauft von einem deutschen Verlag ein Buch für 10 Euro, das ein Schweizer im Urlaub in Thailand von seinem Tablet bestellt und an seine Großmutter nach Frankreich liefern lässt. Der Schweizer hat vorher in Italien gewohnt und ist bei Amazon noch mit seiner italienischen Adresse registriert. Er zahlt 20 Euro für das Buch per PayPal. Die Schwierigkeit allein der lokalen Zuordnung ist auf Anhieb ersichtlich.

 

Internationaler Steuerwettbewerb

Es ist schwer zu vermitteln, dass in der Krise 2009 Länder wie Irland auf der einen Seite EU-Hilfen erhalten und auf der anderen Seite mit niedrigen Steuersätzen zu Gewinnverlagerungen einladen, die bei den Geberländern zu Steuerausfällen führen. Deshalb will die EU Beihilfen an die Erfüllung steuerlicher Mindestanforderungen knüpfen.

Dazu kommt das Problem der Begünstigung internationaler Unternehmen. So lange sich die direkte Besteuerung an der Wertschöpfungskette und einer festen Präsenz im Land orientiert, gilt: Unternehmen, die ihr ganzes Geschäft von Deutschland aus steuern, müssen ihren gesamten Gewinn in Deutschland besteuern, selbst wenn die Produkte im Ausland verkauft oder Vorprodukte aus dem Ausland gekauft werden. Das betrifft überwiegend den Mittelstand und das Handwerk.

Damit sind solche Unternehmen schlechter gestellt als Unternehmen, die in (niedrig besteuerten) Ländern Dependancen für wenig kapitalintensive Operationen (Absatz, Beschaffung, Finanzierung) gründen. Diese Unternehmen können nämlich einen Teil der Wertschöpfung auf ihre jeweiligen Landesniederlassungen allozieren. Dort wird der Gewinn niedriger besteuert und kann anschließend nahezu ohne Besteuerung nach Deutschland transferiert werden. Diese Praktiken wurden in der Vergangenheit von Unternehmen breit genutzt.

Zudem sind US-Unternehmen im Vergleich zu europäischen privilegiert, weil sie ihre weltweiten Überschüsse in Zwischengesellschaften in Nullsteuerländern sammeln können. In den meisten anderen Ländern wird solch eine Form der Gewinnthesaurierung hingegen steuerlich nicht anerkannt.

Bei den Steuerpraktiken von Google und Amazon spielen alle genannten Faktoren eine Rolle, weshalb sie mittlerweile sinnbildlich für gesellschaftlich unerwünschte Steuerpraktiken stehen.

 

Reaktionen von OECD und EU

Nach Schätzungen der OECD entgehen Staaten durch unfairen Steuerwettbewerb jährlich 100-250 Mrd. Euro, das sind 4-10% des gesamten Unternehmensergebnisses weltweit.

Die OECD hat daraufhin im Jahr 2013 den sogenannten BEPS-Plan mit 15 Aktionspunkten zur Vermeidung unfairer Steuerpraktiken erarbeitet, an dem 62 Staaten beteiligt sind. Die Vorarbeiten wurden 2015 abgeschlossen. Die Maßnahmen lassen sich in drei Kategorien gliedern:

  • internationale Transparenz und Austausch über Besteuerungsgrundlagen;
  • Neuordnung der internationalen Gewinnaufteilung unter Beachtung der Digitalisierung;
  • Strafsteuern für als schädlich erachtete Gestaltungen.

Insgesamt spielt Deutschland bei der Umsetzung der Regelungen eher eine treibende als bremsende Rolle. Anders als in der Steuersenkungsdebatte 2001 ff, als die Sorge um die Abwanderung von Unternehmen vorgebracht wurde, um die Steuersätze zu senken, sieht die Regierung offenbar in dieser Verschärfung keine Gefahr mehr für den Standort.

Womöglich hat die Regierung inzwischen verstanden, dass Steueranreize zwar aufkommensrelevante Steuerkonstruktionen begünstigen, nicht aber für eine Verlagerung der realen Produktion verantwortlich sind.

Die Alternative zu einer Verschärfung des Unternehmenssteuerrechts wäre die Gewährung originärer eigener Steueranreize gewesen. Hier scheint die Gerechtigkeitsdebatte soweit gewirkt zu haben, dass die Regierung sich solchen Bestrebungen aus der Wirtschaft bislang erstaunlich hartnäckig widersetzt und mit ihren Nachbarländern, die regelmäßig Anreize gewähren, in diesen Fragen auch in den Konflikt geht. Zu den geplanten Maßnahmen folgen ein paar Einzelheiten.

 

Transparenz und Austausch

Neben der Verpflichtung zu einem besseren Austausch ist einer der in der öffentlichen Debatte am häufigsten geforderten Punkte die Offenlegung der tatsächlich gezahlten Steuern eines Unternehmens pro Land, das sog. „Country by Country Reporting“, abgekürzt CbCR.

Die EU verpflichtet ihre Mitgliedstaaten ab 2017 zur Offenlegung steuerlich relevanter Daten pro Land, allerdings nicht öffentlich, sondern nur gegenüber den Finanzbehörden der sich beteiligenden EU-Länder. Einer Komplettveröffentlichung hat sich die EU im Wesentlichen aus drei Gründen widersetzt.

Erstens führt die EU an, dass Unternehmen ihren Konkurrenten dann schützenswerte Zahlen präsentieren; zweitens möchte die EU Steuerdaten nicht „gratis“ an Länder herausgeben, die sich ihrerseits nicht zur Herausgabe verpflichten; drittens befürchten die Unternehmen, dass die Zahlen in der Öffentlichkeit zu Missverständnissen führen. Die beiden ersten Argumente lassen sich nicht von der Hand weisen, das letzte ließe sich durch Aufklärung der Öffentlichkeit entkräften.

Wenn ausreichend Daten vorliegen, kann die Finanzverwaltung Auffälligkeiten feststellen und so zielgerichteter die Steuern prüfen, was zu gleichmäßigerer Besteuerung führt. Zudem werden Unternehmen in der EU verpflichtet, mehr Daten zur Ermittlung ihrer Verrechnungspreise offenzulegen. Zwar lässt sich nie ein eindeutig richtiger Preis für konzerninterne Lieferungen und Leistungen finden, aber der Argumentationsspielraum von Unternehmen für willkürliche Verlagerungen wird doch eingeschränkt.

Schließlich müssen auch aggressive Steuerplanungen der Finanzverwaltung unmittelbar angezeigt werden. Hier ist noch nicht klar, wo die Abgrenzung zwischen steuerlich zulässigem Gestaltungsspielraum und aggressivem Vorgehen liegt. Klar ist jedoch die Richtung, dass die Behörden viel mehr als früher eine aktive Mitwirkung der Unternehmen einfordern, um eigene Rückschlüsse zu ziehen.

 

Neuordnung der internationalen Gewinnaufteilung

Die EU möchte die Besteuerung dem Wandel der Wirtschaft anpassen – und tut sich damit sehr schwer. Es gibt bislang keine konkreten Vorstellungen, wo und wenn ja wie viele Gewinne „gerecht“ zu erfassen sind.

Eine Erkenntnis der EU ist, dass die Überlassung von immateriellen Wirtschaftsgütern wie Know-how und Rechten als Wertschöpfungsfaktor stärker in den Fokus rücken muss. Denn in einem unübersichtlichen Markt entscheidet über den Verkaufserfolg eines Produktes nicht immer ein Verkäufer, sondern oft ein komplizierter (immaterieller) Algorithmus oder ein bekannter (immaterieller) Markenname. Damit kommt der Vermarktungsstrategie eine eigenständige, steuerlich relevante Bedeutung zu.

Es gibt für die steuerliche Zurechnung von Wertschöpfungsbeiträgen zu einzelnen Ländern noch kein griffiges Instrument. Die OECD will sich im Moment darauf beschränken, den Wandel weiter zu beobachten, um Besteuerungsformen abzuleiten.

Wie schwierig das in der Realität ist, zeigt das Eingangsbeispiel. Es bleibt abzuwarten, ob und auf welche Zurechnungen sich die OECD-Mitgliedsländer einigen, weil jedes Land einen Verlust von eigenem Aufkommen befürchtet.

Die Ziele eines hohen Steueraufkommens und einer systematischen Regelung können einander entgegenstehen, und es ist Aufgabe auch der Linken, hier zu einer vernünftigen Abwägung zu kommen. Vielleicht müssen auch neue Wege beschritten werden.

 

Strafsteuern

Ein Verstoß gegen Offenlegungspflichten und die Umsetzung schädlicher Gestaltungen sollen nicht nur zu einer Nacherhebung von Steuern führen, sondern auch mit darüber hinaus gehenden Sanktionen belegt werden können. In Deutschland werden beispielsweise Bußgelder von bis zu 100.000 Euro festgesetzt, wenn Dokumentationen nicht vollständig oder rechtzeitig eingereicht werden.

Spezielle Strafsteuern sind derzeit noch nicht vorgesehen. Bislang werden nur Zinsen von 6% pro Jahr für Steuernachzahlungen festgesetzt. Diese vergleichsweise hohe Zinslast führt bei Unternehmen dazu, Vorgänge zeitnah prüfen zu lassen, um rechtzeitig reagieren zu können.

 

Fazit

Die Verwaltung gewinnt Spielräume, um gegen Gestaltungsmissbrauch vorzugehen. Allerdings muss sie diese Spielräume auch nutzen können. Die Verwaltung hat aber mehrere Probleme.

Zum einen gibt es Prüfer in mittlerem Alter, die sich mit neuen digitalen und risikoorientieren Prüfungsansätzen schwertun und lieber wie bisher prüfen. Zum anderen gibt es bei ausländischen Sachverhalten Kompetenzgerangel zwischen Landes- und Bundesprüfern, wobei häufig die Bundesprüfer an Anzahl zu wenig sind und Landesprüfern wiederum die Erfahrung fehlt. Schließlich kämpft die Finanzverwaltung mit Nachwuchsproblemen, die durch fehlende Aufstiegsmöglichkeiten und leider zuweilen eher behäbige Apparate nicht einfacher werden.

Wie diese Maßnahmen aber international koordiniert umgesetzt werden sollen und können, bleibt abzuwarten.